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Erster Mai, die Rechten sind dabei

Der versuchte Putsch vom 30. April gegen Maduro schien nach einem Drehbuch von Monthy Python ausgeführt. Bis zum Nachmittag konnten wir nicht glauben, dass diese verzweifelt – dilettantische Aktion alles gewesen sollte. Da musste doch noch ein Plan B folgen! Das As aus dem Ärmel, das die aussichtslose Situation in einen triumphalen Sieg umwandeln würde. Aber nein, das war´s. Eine Gruppe rebellierender Soldaten unter dem Kommando eines Generals aus dem engeren Sicherheitsring Maduro´s und ehemaliger Kampfgefährte von Chávez hatte rebelliert, den unter Hausarrest stehenden Rechtsaussenpolitiker Leopoldo López daheim abgeholt und zusammen mit dem selbsternannten „Interimspräsidenten“ Guaidó und einer Handvoll anderer Abgeordneter und Unterstützer*innen einen Autobahnverteiler neben dem Luftwaffenstützpunkt „La Carlota“ mitten in Caracas besetzt. Da standen sie nun, liessen sich stundenlang mit Tränengas einnebeln und warteten offensichtlch darauf, dass die aufständischen Massen zuhauf herbeiströmen würden, ihren „Befreier“ zu befreien. Vielleicht war die Idee, das eroberte Gebiet bis zum nächsten Tag zu halten, um sie mit Guaidó´s Mobilisierung der Opposition zum ersten Mai zusammenzuführen. Doch die Massen blieben weitgehend zuhause. Bis auf einige wenige Hartnäckige, die sich im ganzen Land versammelten und eher symbolische als ernstgemeinte Barrikaden bauten, blieb es ruhig. Am Ende suchten die gescheiterten Putschisten Zuflucht in den Botschaften von Chile und Brasilien. Die erwartete Grossdemo der Opposition, die mit dem Slogan angetreten war, den Präsidentschaftspalast zu stürmen, blieb überschaubar und endete in Scharmützeln in einem Reichenviertel. Eine Niederlage auf allen Ebenen.

Wir, die leidenschaftslosen Zuschauer*innen, die zwar vom mafiös-militaristischen „Sozialismus“ gestrichen die Schnauze voll haben, aber auch gar keine Lust darauf haben, von der radikalen Rechten unter Anleitung der USA „befreit“ zu werden, fragen uns natürlich: Was war das denn jetzt? Sind die wirklich so doof? Sind sie, wie auch der Chavismus, so dermassen ihrer selbstkonstruierten Scheinrealität aufgesessen, dass sie sich eingeredet haben, das apathische Volk würde sich auf ihr Zeichen hin erheben? Die Taktik des gewaltsamen Aufstands der Mittelschicht, in Venezuela „Guarimba“ genannt, war schon drei mal gescheitert. Was hatte López dazu gebracht zu denken, dass sie heute, wo ausserdem ein wesentlicher Teil ihrer früheren Aktivist*innen im Ausland ist, funktionieren könnte? Hatte er es vielleicht schlicht nicht mehr ausgehalten, dass der Emporkömmling Guaidó, der ihm früher die Korrespondenz erledigte, in den letzten Monaten alle mediale Aufmerksamkeit einheimste? Warum gab es für das Überlaufen eines hochrangigen chavistischen Mitkämpfers der ersten Stunde keine bessere Idee, als ihn auf einer Autobahnbrücke zu verheizen?

Wir kennen Leute, die meinen, all die gescheiterten Putsch- und Attentatsversuche, Guarimbas und Invasionsandrohungen seien von der Regierung selbst orchestriert, um eine permanente Stimmung der Bedrohung zu erzeugen, die die eigenen Reihen zusammenschweisst. Diese Theorie klingt logisch. Es ist offensichtlich, dass der Chavismus nur dank der Opposition nach wie vor an der Macht ist, trotz seiner erschütternden solzialen Bilanz. Aber es ist trotzdem eine Verschwörungstherie. Die nötige Intelligenz für solch intrigante Machenschaften ist schlicht nicht vorhanden. Die Wahrheit lautet: Die venezolanische Opposition ist tatsächlich so unfähig, wie es aussieht. Machtgierig, korrupt, zerstritten, verblendet von ihrer selbst konstruierten Fake-Reality, sind die Führer*innen des Antichavismus nicht in der Lage, eine kohärente Strategie zu entwerfen und auszuführen, um die objektiv zu ihren Gunsten stehenden Verhältnisse politisch zu nutzen. Vor allem aber haben sie die einfache, aber entscheidende Prämisse bisher nicht begriffen, dass nämlich der Chavismus nur mit Hilfe der entäuschten Chavist*innen zu entmachten ist, derjenigen Menschen also, die in ihm einst eine Hoffnung gesehen haben, um ihrer sozialen Misere zu entkommen. Nach wie vor gibt es keine politische Kraft, die diese Masse einbinden und organisieren will. Die wenigen Politiker, selbt ehemalige chavistische Funktionäre, die das Profil dazu hätten, sitzen im Knast. Die anderen warten weiterhin auf den Einmarsch der USA oder setzen, wie López, auf die Illusion einer militanten Machtergreifung durch die ökonomisch Bessergestellten.

Ein positives Ergebnis hinterlässt uns dieser Erste Mai der Rechten auf jeden Fall: Leopoldo López, Juan Guaidó und ihre Partei „Voluntad Popular“ sind weg vom Fenster. López war die gefährlichste Figur der Opposition, denn wegen seiner Radikalität und seinem Opferstatus als politischem Gefangenen war er sehr populär. Sein Pulver ist jetzt verschossen, ebenso das von Guaidó. Die Opposition muss sich nach neuen Gesichtern umsehen. Das gibt Raum für andere Optionen, die dann möglicherweise eher aus der politischen Mitte kommen als vom rechten Rand. Nach dem grossen Guaidó-Hype dürfte auf den internationalen Anti-Maduro-Front wieder etwas Ernüchterung einkehren. Vielleicht verbessert das die Optionen für reale Verhandlungen mit dem Ziel einer unblutigen Lösung des Konflikts.

The Hunger Games, reloaded

Eins muss man der Opposition ja lassen: Die Idee, die Mobilisierungen im Land nicht an der Absetzung Maduros auszurichten, sondern an der Forderung, Hilfsgüter ins Land zu lassen, ist – ausnahmsweise – intelligent. Egal, wen man fragt, alle hoffen darauf, bald die ersehnten Pakete aus den USA in den Händen zu halten. Selbst diejenigen, die materielle Unterstützung selbst gar nicht so dringend nötig hätten. An den Demos seit dem 23. haben so viele Menschen teilgenommen, wie seit vielen Jahren nicht. Und egal, wie sich die Regierung verhält, sie wird in der Frage auf jeden Fall verlieren: Blockiert sie die Hilfslieferungen an der Grenze, steht sie als grausam da. Lässt sie sie aber ins Land, muss sie zugeben, dass sie ein Problem hat, das sie selbst nicht lösen kann. So wird aus dem Hunger ein Spiel um Macht. Ob es den Anfüher*innen der Mobilisierungen dabei wirklich so sehr um die Not der Armen geht, ist dabei noch die Frage. Immerhin sind die meisten von ihnen in der Politik, lange bevor Chávez regierte. Willams Dávila zum Beispiel, der den riesigen Marsch gegen den Hunger am 2. Februar in Mérida anführte, hat zu seinen Zeiten als sozialdemokratischer Gouverneur bewiesen, dass ihn die Versorgungslage der sozial Schwachen herzlich wenig interessiert.
Auch der Chavismus spielt mit dem Hunger. Als Reaktion auf die Selbsternennung Guaidós als Interimspräsident schickte die Partei die „lokalen Kommitees für Versorgung und Produkion“ (CLAP) los, um Unterschriften für Maduro zu sammeln. Wenn eine Person nicht unterschreiben wollte, dann wurde ihr gesagt, dass sie künftig keine Essenspakete mehr erhalten würde. Diese fast geschenkten CLAP – Kisten sind für die meisten Familien aber ein unverzichtbarer Beitrag zum Überleben geworden. Ob sich der Chavismus mit diesem Vorgehen viele Freunde macht, ist zu bezweifeln. Die meisten unterschreiben wohl, aber zurück bleibt ein unterdrückter Zorn, dass mit so elementaren Bedürfnissen wie dem Essen Machtpolitik betrieben wird.

Juan Guaidó, der sich in einer etwas mutwilligen Interpretation der Verfassung zum Übergangspräsidenten ausgerufen hat, ist kein gemässigter Demokrat. Seine Partei Voluntad Popular steht am äussersten rechten Rand der venezolanischen Parteienlandschaft, ihr Programm ist die ungehinderte Entfaltung des Marktes und die politische und kulturelle Anlehnung an die US-Republikaner. Parteichef Leopoldo López, der einer Oligarchenfamilie entstammt, die sich in vorchavistischen Zeiten an der staatlichen Erdölfirma PDVSA illegal bereichert hatte, sass lange im Knast, weil er 2014 zum gewaltsamen Sturz des Chavismus aufgerufen hatte. Aber vertritt er wirklich eine Mehrheit der Venezolaner*innen? Auch wenn er momentan auf breite Zustimmung zählen kann, weil die Menschen von der Krise schlicht müde sind und einfach nur noch einen Wechsel wollen, egal wie, entspricht seine politische Linie wohl kaum den allgemeinen Vorstellungen von der Zukunft des Landes. Alle Umfragen sagen: Die Menschen wollen ein Ende des Chavismus, weil er seine Versprechen nicht mehr einlöst, aber sie wollen einen Sozialstaat, keinen wilden Kapitalismus. Wenn aber Maduro tatsächlich zugunsten Guaidós abdanken würde, wäre die plausibelste Folge, dass López als Kandidat der rechten Opposition zur Wahl aufgestellt wird, da es seine Partei war, die den Wechsel herbeigeführt hat. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser, zusammen mit der freundlichen Hilfe seiner internationalen Verbündeten, dafür sorgen würde, dass es für die sicher schnell anberaumten Neuwahlen keine wählbare Vertretung der unabhängigen Linken gäbe. Denn dass diese bis heute über keine legale Parteistruktur verfügt, dafür hat der Chavismus gesorgt, mit Repression und juristischen Winkelzügen. Im Resultat wäre es wohl eine Regierung im Stile von Trump und Bolsonaro, die die „Rückkehr in die Demokratie“ durchführen würde.
Es ist ja völlig offensichtlich, dass der Chavismus alle Legitimation verloren hat und unfähig ist, das Land aus der schweren Krise herauszuführen, in die er es manövriert hat. Selbst ein Sack Kartoffeln würde besser regieren als diese abgewirtschaftete mafiöse Clique. Man kann sogar der Meinung sein, dass in der jetzigen Situation eine neoliberale Regierung für die Menschen das kleinere Übel wäre, weil sie die Märkte öffnen und Hilfslieferungen zulassen würde. Aber es ist von da ein grosser Schritt, sich für einen Machtwechsel zugunsten einer Wirtschaft der Reichen für die Reichen zu begeistern, wie es derzeit in der ganzen Welt Leute bis weit ins fortschrittliche Lager tun, die es gar nicht mehr erwarten können, dass Guaidó endlich anerkannt wird. Bei der jetzigen Verteilung der Karten gehört die arbeitende Bevölkerung nicht zu den Gewinner*innen, egal welche der beiden Seiten sich durchsetzt.

Die Bildung eines Parallelstaates, wie sie von der Opposition und ihren internationalen Verbündeten vorangetrieben wird, mit einem obersten Gerichtshof im Exil, einer Generalstaatsanwaltschaft im Exil und jetzt auch einem Schattenpräsident, zielt entweder auf das Einknicken des Chavismus, oder darauf, schlussendlich in einer bewaffneten Auseinandersetzung zu münden. Ersteres könnte geschehen, wenn die Militärs durch generöse Angebote wie Amnestie und Legalisierung ihrer Beute dazu gebracht würden, die Seiten zu wechseln. Ausserdem müssten Russland und China mitspielen, denn diese haben ein Interesse an der Wahrung des Status Quo, so lange die massiven Schulden, die Venezuela bei ihnen hat und die grösstenteils auf juristisch fragwürdiger Grundlage zustande kamen, nicht derart abgesichert werden, dass sie vor einem internationalen Schiedsgericht anerkannt würden. Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass diesbezüglich frenetische Verhandlungen hinter den Kulissen laufen. Wir können nur raten, was dabei heraus kommt, informieren wird man uns darüber sicher nicht. Falls es dabei aber nicht zu einem Ergebnis kommt, bleibt nur noch Krieg. Siehe Syrien. Es ist unverantwortlich, so mit dem Schicksal von Millionen Menschen zu pokern.
Sinnvoller scheint uns da der Vorschlag der Plataforma para el Rescate de la Constitución zu sein, ein Zusammenschluss von unabhängigen Linken und ehemaligen Chavist*innen, die ein Plebiszit vorschlagen, in dem die Bevölkerung entscheidet, ob sie allgemeine Neuwahlen will, einschliesslich der Neubesetzung des Obersten Gerichtshofes und der Wahlkommission. Dafür Druck zu machen wäre sicher demokratischer, als die Bestätigung eines selbsternannten Interimspräsidenten voranzutreiben. Stattdessen hat man in den letzten Wochen den Eindruck, dass sogar vernünftige Leute von der permanenten Bombardierung durch die Medien so aufgeputscht sind, dass die Anerkennung von Guaidó für sie zur Existenzfrage wird.

Über eines sollten die Befürworter*innen einer radikalen Lösung sich klar sein: Ein gewaltsamer Konflikt im Land würde in erster Linie nicht die Regierung und Parteikader treffen, sondern das chavistische Fussvolk, an dem sich der rechte Mob austoben würde. Der Vorrat an Waffen und angestautem Hass im Land ist gewaltig, und die Partei hat bisher keinerlei Vorkehrungen für den Schutz ihrer Basis getroffen. Einen Vorgeschmack davon konnte man am 23 Januar in Mérida erleben, als Jugendliche, die dem Aufruf zum Protest gefolgt waren, im Schutz der Barrikaden einen geistig verwirrten Mann erst anschossen und dann, noch lebendig, verbrannten. Der Grund: Sie hatten ihn für einen Chavisten gehalten.